Interview

Wie kamst du zur Musik und insbesondere zur Orgel?
Im Tanzsaal des Gasthauses meiner Eltern in Hütten stand ein uraltes Klavier. Als ich zehn Jahre alt war, äusserte ich den Wunsch, Klavier spielen zu lernen. Bei Frau Maag, der Frau des Dorflehrers, durfte ich die ersten Klavierstunden geniessen. Nach drei Monaten sagte mein Vater: „So, und jetzt spielst Du gleich in unserer Hauskapelle mit und gehst zu Martin Beeler nach Einsiedeln und lernst dort, wie man Ländler spielt!“ So hatte ich schon in kurzer Zeit zwei Klavierlehrer! In unserer Hauskapelle spielte mein jüngerer Bruder Robert Kontrabass, mein älterer Bruder Hansueli Handorgel, und mein Vater spielte Klarinette und Saxophon. Allerdings war Notenlesen nicht die Stärke meines Vaters: Wir spielten das Meiste nach Gehör, mein Vater rief jeweils einfach: „Marsch, Polka, Walzer“ – und dann ging es los, manchmal bis nach Mitternacht. Nach einer solchen Nacht konnte es vorkommen, dass ich in der Schule einschlief. Und der Lehrer kam zu uns nach Hause und ermahnte meine Eltern, mich früher ins Bett zu schicken.

Übrigens: Kürzlich habe ich einen älteren Herrn getroffen, der damals in Hütten als Lehrer wirkte. Er erzählte mir, dass er als Junglehrer ins Dorf kam, an unserem Haus vorbeispazierte und nicht schlecht staunte, als er auf einer Tafel las: Eigene Hauskapelle! Da hätte er gedacht: „Das ist aber eine fromme Familie!“

In der Sekundarschule sollten wir dann mal einen Aufsatz über unsere Berufswünsche verfassen. Da schrieb ich gleich hin: „Ich möchte Musikerin werden.“ Darauf sagte der Lehrer: „Das ist ein brotloser Beruf, das ist nichts für dich. Ich melde dich bei der Berufsberatung an.“ Die Berufsberaterin fand heraus, am geeignetsten für mich wären entweder Hausbeamtin oder Gärtnerin. Das wollte ich auf gar keinen Fall! Bei meinen Eltern konnte ich durchsetzten, dass sie mich (mit sechzehn Jahren) wenigsten probehalber für drei Monate ans Konservatorium gehen liessen. Dort hatte ich Klavierunterricht. Nach Ablauf dieser Zeit rief Direktor Wittelsbach bei meiner Mutter an und erklärte, ich sei sehr geeignet für den Musikerberuf. Ich hätte nämlich „Landnerven“. Daraufhin begann ich beim damaligen Fraumünster-Organisten Heinrich Funk mit dem Orgelunterricht – neben dem Klavier. Bei einem Ausflug unserer Orgelklasse zur Klosterkirche Rheinau spielte er uns ein Bach-Präludium vor, und in diesem Moment wusste ich: Das ist mein Ding! Und dann habe ich – immer parallel – die Klavier- und Orgelausbildung abgeschlossen – mit diversen Diplomen.

Nach einem halben Jahr Orgelunterricht sagte der Hüttner Pfarrer ten Doornkaart zu mir: „Wir haben keinen Organisten mehr – jetzt musst du spielen!“ Das war meine erste Organistenstelle. Bis ich gut 19 Jahre alt war, spielte ich also morgens in der Kirche und abends im Gasthaus meiner Eltern – nur jeweils etwas andere Musik …

Was ist das Schönste am Orgelspielen?
Das Schönste ist, mit der Musik eine Geschichte zu erzählen, mit den Zuhörern in einen Dialog zu treten. Ich muss fasziniert sein von der Substanz eines Stückes – und diese Substanz möchte ich gerne vermitteln. Im Besonderen ist es die Musik des 19. Jahrhunderts, die auf mich eine geradezu magische Anziehungskraft ausübt.

Du spielst ja mit viel Freude oft auch völlig orgelunübliche Werke. Wie kam es dazu?
Die Wädenswiler Chilbi ist alljährlich ein grosses Fest. Die Gottesdienste zur Kirchweih waren immer Familiengottesdienste. Da hatte ich die Idee, alte Stücke von Karrusselorgeln für die Kirchenorgel zu bearbeiten, um den Kindern eine Freude zu bereiten – auch die grossen Kinder freuten sich … Aus dieser Idee wurde dann bald mehr: Seit vielen Jahren ist nun die „Wättischwiler Chilbimusig“ am Freitag vor der Chilbi der musikalische Auftakt zu diesem Volksfest.

Wie schwierig ist die Adaption dieser Stücke für die Orgel?
Man muss diese Stücke für die Orgel arrangieren, d.h. auch Pedalstimmen dazufügen. Sehr wichtig sind passende Klangfarben. Dabei muss man oft sehr unorthodox vorgehen und sich auf seine Ohren verlassen.

Braucht es eine besonders gute Kondition fürs Orgelspielen?
Das Orgelspielen ist ein ausgezeichnetes Fitnesstraining, zum Beispiel auf einer grossen Orgel: rechte Hand auf dem vierten Manual, linke Hand auf dem ersten Manual, dazu die Füsse zweistimmig …

Wie oft und wie lange übst du?
Ich übe sehr unregelmässig, manchmal viele Stunden nacheinander, und dann wieder zwei Tage gar nicht.

Muss eine Orgel speziell gepflegt werden?
So ein komplexes Instrument wie eine Orgel mit all den vielen Pfeifen kann schon mal gewisse Tücken aufweisen. Da ist dann der Orgelbauer gefragt. Gestimmt wird die Orgel normalerweise zu Beginn der Heizperiode und nach deren Ende. Die Egger Orgel hat eine pneumatische Traktur, die auf trockene Luft sehr empfindlich reagiert. Da helfen Luftbefeuchter.

Spielst du gern auf einer pneumatischen Orgel – wie jene in Egg?
Die pneumatischen Instrumente wurden von der Fachwelt viele Jahre lang mit Verachtung gestraft. Jetzt sind sie geradezu in Mode gekommen und werden von den gleichen Fachleuten „in den Himmel gehoben“. Der Charakter der pneumatischen Orgeln ist der Musik des 19. Jahrhunderts sehr nahe.

Welche Musik wird im Reich Gottes gespielt?
Karl Barth hat einmal das geflügelte Wort geprägt, dass die Engel im Himmel vor Gottvater Bach spielen würden, wenn sie aber ganz unter sich seien, lieber Mozart.

Interview: Pfarrerin Alke de Groot, März 2012

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1 Antwort zu Interview

  1. Elsbeth Jaus-Bürgi sagt:

    liebe Ursula,

    habe eben dein Interview gelesen. Sehr interessant. Habe mich zurück versetzt gefühlt in meine Jugend Tante Josephine und Hütten etc. Komme nächsten an ein Konzert von dir. Unsere Tochter Sylvia wohnt mit ihrer Familie im Balgrist nicht weit von Egg entfernt.
    Ich bin die älteste Tochter von Lina Bürgi-Künzi. Am Stephans Tag spielst du nicht in der Tohnhalle.
    Wünsche dir ein gutes neues Jahr. Liebe Grüsse Elsbeth Jaus-Bürgi

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